Gustav Landauer als Schriftsteller by Corinna Kaiser

Gustav Landauer als Schriftsteller by Corinna Kaiser

Autor:Corinna Kaiser [Kaiser, Corinna ]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: De Gruyter Oldenbourg (DGO)
veröffentlicht: 2014-09-23T00:00:00+00:00


Dieser Entsündiger ist ein Messiah der Liebe, die nie enden wird, die keine Sünden kennt und in der der Vater-Tochter-Inzest nicht mehr gegen das Gesetz verstößt. Eins ist deutlich: das Judentum wurde mit der Ermordung Tilsiters überwunden und ausgelöscht. Da die ›Schöne Jüdin‹ nur das weibliche Komplement des ›Ewigen Juden‹ ist, wurde mit dieser Tat auch die alte Judith getötet, und sie kann Teil der neuen Ordnung werden, wenn sie sich einem Übergangsritual unterzieht. Zudem wurde mit dem Tod des ›Ewigen Juden‹ auch eine für das Sprachdenken Landauers relevante Handlung vollzogen: Der ›ewige Jude‹ war der Legende nach mit einer unbegrenzten Vielsprachigkeit ausgestattet, die es ihm erlaubte, in jedem Land zu kommunizieren: »In welches Land er kommen / desselbigen Sprach hat er geredet / wie er denn damal die Sächsische Sprach als wol geredt / als wann er ein geborner Sachs wer.«574 Diese Option der Allsprachigkeit hat der hohepriesterliche Juden- und Sprachmörder mit der Tötung des Juden Tilsiter und damit aller Juden aus der Welt geschafft. Nun muss eine Entscheidung für eine Sprache, ein Land, eine Kultur und eine Religion getroffen werden. Die Entscheidung fällt für die deutsche Sprache: »so soll es sein« ersetzt das Amen.

Der Gebrauch antisemitischer Stereotype und Vergleiche, die keinerlei Distanzierung erkennen lassen, sondern in der Elimination gipfeln, verstört in dieser Novelle Landauers, und Despoix’ Verweis auf eine Aussage Landauers von 1913, in der er sich gegen Judentaufen aussprach und keinen »Verdrängungswillen der jüdischen Herkunft« zeigt,575 ist a-historisch, da er fast zwanzig Jahre überspringt. Vielmehr treffen hier zwei Wahrnehmungen Landauers vom Judentum zusammen: seine politisch motivierte Kapitalismuskritik, für die er sich des antisemitischen Stereotyps des ›Börsenjudentums‹ bedient, und sein eigenes Bekenntnis zum Judentum, das er von dieser Kritik abzuspalten sucht. Erstmals wird ein weiteres Element deutlich, seine Kritik an traditionelleren Formen des Judentums, die er in dem süddeutschen Landjudentum repräsentiert sieht. Es sei daran erinnert, dass die erste Notiz einer Idee zu der Novelle Lebenskunst / Arnold Himmelheber sich auf einem Zettel findet, unter der er an zweiter Stelle die Idee einer »fiktiven Predigt eines Orthodoxen über das Himmelreich« festhielt, der eine anarchistische Kritik gegenübergestellt werden sollte. Landauer balanciert auf der Grenzlinie zwischen seinem Judentum, von dem er sich nie distanziert hat, und einem jüdischen Selbsthass, der wie bei Fritz Mauthner, der die Abschiebung von Ostjuden forderte, in antijüdische politische Stellungsnahme hätte umschlagen können. Dieser politische Umschwung fand, wie bekannt, glücklicherweise nicht statt; im Gegenteil wurde Landauer zu einem Kämpfer gegen Antisemitismus, eingeschlossen seine Verteidigung ostjüdischer Kultur und religiösen Lebens, wie seine Haltung in dem Beilis-Fall zeigt. Für die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts kann seine Position aber nicht so widerspruchsfrei gesehen werden und dies schließt nach der Ermordung des ›ewigen Allsprachlers‹ Ahasver auch den Aspekt der Sprachbezweiflung ein.



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